Wahlkampfzeit ist einfach immer eine grausliche Zeit. In den Printmedien irgendwelche "Wir werden uns noch wundern"-Kampfrhetorik-Ballersprüche, das Land vollgepflastert mit Dreiecksständern mit Männergesichtern drauf, und diese Gesichter geifern sich gegenseitig wie Kampfhunde (die nenn ich wirklich so, die tierischen heißen übrigens Listenhunde) vor den Kameras an. Und diesmal ist es besonders grauslich. Ich mein, was sind das bitte für Kandidaten? Ein Schuster, der vor lauter Antroposophie nichtmal selbst kapiert, wie weit rechts er abgebogen ist, ein Rechtsanwalt, der was von New World Order faselt und dabei aussieht wie Christopher Walken in uncool, Barbies Ken - wusste gar nicht, dass der politisch ist, aber immerhin, als linker Menschenfreund wäre Ken sicher nicht bekannt, insofern passts ja, und zweimal Schmiss im Gsicht und Rechthaberei zum Erbrechen. Und ok, Marco Dominik Pogo Wlazny. Den mag ich ja eigentlich. Aber zu dem komm ich später nochmal.
Weil eigentlich will ich über Van der Bellen schreiben. Ich frag mich wirklich, habt ihr vergessen, dass es eine partei- und richtungsübergreifende Solidaritätsaktion gebraucht hat, damit er gegen Hofer gewinnt? Und wie viele von euch, die jetzt sagen, nö, den Van der Bellen können sie nicht wählen, haben zu Ibizazeiten geschwärmt, wie froh sie seien, dass wir eben nicht den Mr. "Wir werden uns noch wundern" im Amt hatten? Ich mein, wie wäre Ibiza ausgegangen? Sicher nicht mit einem Sprengen der Regierung (wobei, ok, Kurz war da alles zuzutrauen), sicher nicht mit einer ExpertInnenregierung, mit der ersten weiblichen Kanzlerin (Zeit ist es geworden!!). Ich bin immer noch froh drüber, dass ich mich nicht wundern muss.
Ich habs ja letztens geschrieben, ich bin über die Grünen auch sehr enttäuscht. Zwar bin ich immer noch absolut und hundertprozentig der Meinung, dass es ein grünes Klimaministerium braucht und dass da gute Sachen daherkommen, ich bin ein Superfan der neuen Straßenverkehrsordnung, weil ich ständig radfahre und das im Laufe der Jahre einfach immer gefährlicher geworden ist. Aber als Frau fühle ich mich von der Partei nicht mehr vertreten. Im Gegenteil, da bin ich sogar extrem enttäuscht von ihnen. Doch bitte was hat dieser unterschiedlich gelagerte, aber inzwischen auch in meiner Bubble weit verbreitete Frust über die Grünen mit Van der Bellen in seiner Rolle als Bundespräsident zu tun? Na klar war er der von den Grünen gestellte Kandidat, so wie (zumindest früher) jeder Kandidat von einer Partei nominiert wurde - übrigens ist die Tatsache, dass SPÖ und ÖVP aus lauter Wehleidigkeit aufgrund des Ausganges der letzten Präsidentenwahl keine eigenen KandidatInnen ins Rennen schicken, absolut unverzeihlich - denn dadurch ist erst der Raum für dieses rechte und soweitlinksdasschonwiederrechte Gesocks (ach Heini, wir werden keine Freunde mehr), das da gerade antritt, entstanden.
Van der Bellen jetzt nicht zu wählen, weil man von den Grünen enttäuscht ist, ist in etwa so gscheit wie nicht mehr Rad zu fahren, weil man von der Abschwächung der StVO enttäuscht ist. Es ist halt eine falsch im Kopf zusammengeschusterte (hehe) Kausalkette. Edit: Klar hat er nicht alles richtig gemacht. Aber bitte was stellen wir auch für Erwartungen?! Niemand wird je in unseren Augen alles richtig machen - selbst übern Kreisky, der ja jetzt zum Inbegriff des idealen Politikers emporgehoben wird, habens zu Amtszeiten gschimpft wie die Rohrspatzen.
Aber anscheinend ist das Rennen doch noch nicht so sicher, wie im von mir sehr geliebten Newsletter von Heute-Chefredakteur Nusser stand. Weil es noch verdammt viel Unentschiedene gibt, und eine breite Streuung der Stimmen zu einer Stichwahl führen könnte.
Und das bringt mich jetzt zu Marco Dominik Pogo Wlazny. Wie schon oben geschrieben, ich find es sehr fantastisch, was er macht, wie er agiert, wofür er steht. Doch im vergangenen Winter - es war vor Jahreswechsel - war ich in einer gemeinsamen Talkshow mit ihm. Und danach redeten wir ein bissl (er wird jetzt sauer sein, dass ich das schreibe, aber es ärgert mich einfach so sehr). Ich fragte, ob er antreten würde, und er meinte, er überlege schon, aber nur, wenn Van der Bellen nicht antritt. Das fand ich eine sehr gute Aussage, weil da auch rauskam - er weiß genau, dass er wenn, dann nur Van der Bellen Stimmen wegnimmt, im rechten Lager braucht er nichtmal versuchen, die Angel auszuwerfen - und will das auch sicher nicht. Dass er sich nun anders entschieden hat, ist allein seine Sache und habe ich zu akzeptieren, geh bitte, jede Person kann sich umentscheiden und hat das Recht dazu, kein Thema. Aber wirklich angfressen war ich, als er im ZIB2 Interview dann sagte, was soll denn das mit dem Stimmenstehlen, das stimme doch gar nicht, jede Person habe freie Entscheidung und Bla. Natürlich hat jede Person das, aber er lässt es voll drauf ankommen - und kann sich plötzlich nicht mehr an die Erkenntnis erinnern, dass ihm klar war, dass er Van der Bellen Stimmen kosten könnte. Das ist einfach menschlich enttäuschend.
Er ist ein guter Kerl, und ich will ihn mehr in der Politik sehen. Aber ich will ihn in der Tagespolitik sehen. Die Themen, über die er reden will, sind allesamt gut und wichtig. Aber sie gehören in den Nationalrat, in ein Ministerium, aber nicht auf die UNO-Vollversammlung oder den Empfang des niederländischen Königspaares. Bei einem neuerlichen ibizaähnlichen Skandal, der die Regierung zerschießt, möchte ich bitte einen Präsidenten im Amt sehen, der weiß, was zu tun ist. Bei aller Liebe - und ich gebs hier schriftlich ab: Bei einem Antritt bei Nationalratswahlen wähle ich die Bierpartei - ich möchte weiterhin Van der Bellen als Präsident.
Und vor allem möchte ich keine Stichwahl haben, keinen zweiten Wahlgang. Dieses Land ist außerhalb unserer urbanen Blase seit eh und je rechtskonservativ und ist es auch jetzt noch, schauts euch die Tirolwahl an. Und das macht schlechte Karten für eine Stichwahl. Weil die würde Van der Bellen gegen Rosenkranz heißen, und wie das ausgeht, wenn Van der Bellen nicht die Solidarität von ÖVP und diversen Kammern, Gewerkschaften usw. hat, möchte ich mir nicht vorstellen müssen.
So, und ein PS häng ich noch an: Schafft Wlazny den zweiten Platz und kommt es mit ihm zur Stichwahl, na dann schauen die Karten anders aus. Dann bin ich zwar immer noch Team Van der Bellen, aber hab meinen Glauben in die ÖsterreicherInnen wieder. :) Nur allzu hoffnungsfroh bin ich da als gelernte Österreicherin halt nicht.
(Bild: Als ich Ali Mahlodjis gewünschtes Selfie mit Van der Bellen mit meinem Breitmaulgrinsen crashte :) )