Grundsätzlich muss ich sagen, ich mag Twitter. Ich nutze es wirklich gern zum Blödeln, zur kurzweiligen Ablenkung, aber auch zum Netzwerken. Mein aktuell liebstes Beispiel: Ich meinte, was für ein Treppenwitz es sei, dass mein Holzhändler ein – wörtliches Zitat von ihm - Burnout hätte. Und schrieb dazu: Holz in ganz Wien aus. Holz ist ja das neue Klopapier. Daraufhin landete ein mir unbekannter Oberösterreicher in meinen Direktnachrichten: Er könne mir günstig einen halben Festmeter überlassen. Sechs Wochen später konnte ich, als ich sowieso in der Gegend war, das Holz abholen und traf auf ein paar sehr lässige Leute, die in der Nähe von Steyr auf einem riesigen Hof mitten im Nirgendwo im Eigenanbau Pflanzenöle herstellen. Ohne Twitter hätte ich sie nie kennengelernt.
Allerdings ist das eines meiner wenigen positiven Highlights auf Twitter. Ansonsten stößt man dort häufig auf sehr viel Aggressivität und Toxizität. Vor allem unter JournalistInnen und auch PolitikerInnen. Auf Twitter regieren Medienmenschen und solche, die sich dafür halten – und alle haben sie zu allem eine Meinung. Nur wenige löbliche Ausnahmen berichten schlicht und einfach trocken Facts und Neuigkeiten. Die restlichen … streiten. Ich kann mich da selbst leider auch nicht ausnehmen, auch mir passierts.
Es kommt nicht von irgendwoher, dass Diskussionen auf Twitter oft in Richtung toxischer Dissens gehen: Der Algorithmus von Twitter will ja, dass wir uns aufregen. Weil je emotionaler, desto eher reagieren andere User. Hetze die Leute aufeinander und du hast signifikant gesteigerten Traffic, während ein einfaches „wir sind uns einig“ in zwei Klicks erledigt ist. Und wir alle fallen drauf rein. Durch die begrenzte Zeichenzahl sind wir noch dazu gezwungen, möglichst genau am Punkt zu schreiben (bzw. möglichst gepfefferte Beleidigungen in kurzen Fomulierungen rauszuhauen). Ernsthaft, Twitter ist inzwischen so toxisch, dass ich feststellen konnte: Nein, ich musste die Dosis meiner Antidepressiva nicht raufsetzen, ich musste meinen Twitterkonsum runterschrauben, es hatte den gleichen Effekt.
Twitter ist inzwischen jedoch so (gefühlt) unverzichtbar geworden, dass Politik und Nachrichten dort stattfinden. Wer nicht drauf ist, verpasst was. Jede/r will der oder die Erste sein mit neuen Hot Takes. Alle sind gestresst, weil sie Angst haben, etwas zu verpassen. Und genau das macht unsere politische und mediale Kommunikation völlig kaputt. Ein Journalist oder eine Journalistin mit spannenden Leaks haut diese auf Twitter raus, bevor sie in einem Medium erscheinen, um der/die Erste zu sein, die Person des Journalisten/der Journalistin stellt sich nicht selten über das Nachrichtenmedium, die Lorbeeren gehören dann der Person und nicht dem Medium, in dem sie arbeitet: Der eigene Narzissmus wird also auch noch befriedigt. Und auf Twitter kann man ja auch herrlich die eigene Meinung in solchen Newstweets vermanschen, wenn man brav „Twittert hier privat“ in der Bio stehen hat. Auch wenns de facto für den Journalismus unredlich ist. Auf eine sachliche Nachrichtenmeldung kommen hunderte Meinungen. Meinung, wohin man schaut. In klassischen Medien ist diese (theoretisch) kennzeichnungspflichtig (ja, ich weiß, Fellner und so, vergiss es). Manche Medien kann ich erst wieder lesen, seit ich die bewusste Anstrengung unternommen habe, sie geistig von den Twitteraccounts ihrer Chefredakteure oder PolitikjournalistInnen zu trennen.
Politische Kommunikation ist unplanbar geworden, da selbst SpitzenpolitikerInnen ständig nur noch mit Reagieren beschäftigt sind. Minister Rauch ließ sich zu Beginn auf Debatten rund um die Pandemie ein, erwies sich als wenig geschickt darin, beschloss, dazu auf Twitter nix mehr zu sagen, und brachte die Twitteria erst recht gegen sich auf. Der theoretische Vorteil, dass auf Twitter PolitikerInnen (oder ihre Teams) und Otto Normalvertwitterer auf Augenhöhe diskutieren können, wird in der Praxis zum Nachteil: Einfach mal mit einem anonymen Account eine Ministerin beschimpfen bis hin zu Morddrohungen ist keine Seltenheit. Und von den Schaukämpfen, die sich gefühlt täglich zwischen PolitikerInnen und JournalistInnen abspielen, fang ich erst gar nicht an. Profilierungsneurosen, wohin das Auge blicken kann.
Ein gutes Jahr intensiven Nutzens von Twitter hat mich zu der Position kommen lassen: Politischer Austausch ist auf Twitter schlicht nicht möglich und für gut gemachte politische Kommunikation kontraproduktiv (ich spreche hier nicht von Populismus, nur um hier eine Trennlinie zu ziehen). Was also tun?
JournalistInnen Twitter wegzunehmen ist leider weder logistisch umsetzbar noch sinnvoll – in Ländern mit verminderter Meinungs- und Medienfreiheit ist Twitter relevante Recherchequelle auch jenseits von politischen Themen. Sich in die Zeit der journalistischen Arbeit vor den Sozialen Medien zurückzuwünschen ist zirka so sinnvoll die zu glauben, dass wir uns weg von den Supermärkten wieder kollektiv hin zu Einkäufen auf Bauernmärkten entwickeln. Klingt romantisch, wird nicht passieren.
Aber Gedankenspiel, was würde passieren, wären PolitikerInnen nicht mehr auf Twitter? Ich halte das für einen interessanten Gedanken: Nationalratsabgeordnete und Regierungsmitglieder dürfen nicht auf Twitter, und auch ihre ReferentInnen, AssistentInnen und der Rest der Partie/Partei. Die Schaukämpfe mit JournalistInnen würden auf Twitter nicht mehr vorkommen, Provokationen ins Leere laufen, Diskurs dort nicht mehr in relevanter Form stattfinden (also so, dass man merkt, ok, die Ministerin sieht das auch oder ich kann den Parteigenossen direkt outcallen). Klar kann man der Welt mitteilen, dass man sauer auf den Arbeitsminister ist, aber ohne die Möglichkeit, ihn auch direkt zu verlinken, nimmt dem Ganzen dann ordentlich Würze, rein psychologisch. Es wäre dann nur noch eine Plattform, in der viele Menschen über Politik maulen, aber dieses „Twitter ist wichtig, da sind lauter wichtige Leut drauf, Twitter ist meinungsbildend!“ wäre weg.
Es geht mir darum, den toxischen Unterton, in den uns Social Media und insbesondere Twitter hineinsozialisiert hat, wieder abzulegen. Das Wettrennen um den meistgelikten Tweet abzustellen, das uns direkt in einen verabscheuungswürdigen Populismus führt.
Wer jetzt entgegnet, dass man auf Twitter aber einen Einblick in die Volksmeinung bekäme: Nein. Tut man nicht. Twitteruser sind für die Bevölkerung nicht repräsentativ – nur ein sehr kleiner Anteil, eine sehr spezifische WählerInnenschaft ist dort vertreten. Für PolitikerInnen also wirklich verzichtbar. Nur weil gestritten wird, heißt das noch lang nicht, dass die Twitter-User eine heterogene Gruppe sind.
Direkte Kontaktaufnahme und Nahbarkeit ist wichtig, am Ende des Tages sind PolitikerInnen unsere politische Vertretung (oder, wie es ein befreundeter Abgeordneter mal ausdrückte, als er mich zum Essen einlud: „Ist eh dein Geld, mit dem ich da bezahl.“). Aber bitte nicht mehr in dieser toxischen Narzissmusfalle namens Twitter.