Ich hab im Freundeskreis und der Familie für euch geworben. Ihr wisst, dass ihr auf der richtigen Seite der Geschichte steht: Kampf für soziale Gerechtigkeit, Kampf gegen das drängendste Problem unserer Welt, die Klimakrise. Klar, innerhalb der linken Ideen gibts auch so die eine oder andere Sackgasse, in die ich euch hab rennen sehen, und das Ding mit den Basiswapplern sollten wir vielleicht auch mal neu durchsprechen.
Aber trotz allem, für mich gabs nie eine Alternative. Selbst die SPÖ, die meiner Einstellung in Sachen Sozialpolitik schon recht nah kommt, manchmal näher als ihr, war für mich nie wählbar. Zu viel Genossen und Freundschaft! und rote Nelken, zu wenig zukunftsorientiert erschienen sie mir immer.
Ich hab immer wieder mit dem Gedanken gespielt, auch in die Politik zu gehen, bei euch aktiv zu werden. Anfang letzten Jahres und mit viel Zureden aus euren Reihen war es dann soweit, ich kandidierte für die grüne Liste für die Wiener Gemeinderatswahl. Parteimitglied wurde ich vorerst nicht. Wien, das konnte ich mir vorstellen. Mein Wien. Aber: Ich zog meine Kandidatur intern aber bereits mehrere Wochen vor der Wahl zurück. Aus persönlichen Gründen, aber auch, weil ich die grüne Idee nicht mehr spürte. Mitglied wollte ich keins mehr werden.
Ich war eine jener Menschen, die sich unglaublich freuten, dass die Grünen den Mut zur Regierungsbeteiligung bewiesen (und sorry, liebe „Das reicht nicht, Kurz hätte eh keine andere Wahl gehabt“-ArgumentiererInnen: Hofer stand bereits in der Warteschlange, er hätte die Koalition mit Kurz noch viel billiger gegeben, und dem Volk wärs als „Neustart der FPÖ ohne den bösen Strache und der Hofer war doch eh immer der Umsichtige“ verkauft worden). Ich las mir den Koalitionsvertrag von vorn bis hinten durch, freute mich über einige Dinge, drehte bei einigen Punkten vor Freude sogar fast durch (Lukas Hammer hatte streckenweise so ziemlich genau das, worum wir beide bei Greenpeace seit Ewigkeiten gekämpft hatten, in den Vertrag hineinverhandelt), und war wirklich, wirklich entsetzt bei anderen Themen. Doch es war klar, als Juniorpartner muss man so manche Krot halt schlucken. Ich freute mich, hielt es für die beste Alternative, die dieses Land angesichts so vieler ÖVP-WählerInnen haben konnte. Ich verließ mich darauf, dass ihr auch in den Bereichen, die im Koalitionsvertrag nicht zu euren Gunsten ausgegangen waren, klare Kante zeigen würdet. Und hey, die unfassbar wunderbare Leonore Gewessler führte ein Klimaschutzministerium, das übertraf meine kühnsten Erwartungen (und ich glaub, die von Leonore auch :) ).
Doch um mich geht es hier nicht, es geht um euch. Es kam Corona. Und zu Beginn war ich wie wohl rund 84 Prozent der Bevölkerung sehr froh und erleichtert, dass ein so guter Typ wie Rudi Anschober den Gesundheitsminister gibt und niemand von der FPÖ. Selbst der Virologe Florian Krammer betont immer noch, dass im März die Regierung in Österreich eine Bestleistung hingelegt hat.
Doch was passierte dann? Ich verstehe es nicht! Es kam nicht nur zu Unstimmigkeiten in der Bevölkerung rund um Corona, die die Verordnungshoppalas nicht unbedingt besänftigen konnten, es kam auch auf vielen anderen Ebenen zu ganz heftigen Ausrutschern. Zu Entscheidungen, die viele eurer StammwählerInnen einfach nicht nachvollziehen konnten.
Die Sache mit Moria kann ich ja noch verstehen, es ist einfach ungerecht, wenn man dafür angeschossen wird, weil man nicht gegen den Koalitionspartner abstimmt, obwohl klar ist, dass es extern zu keinen Mehrheiten kommen kann. Eine Zustimmung zu dem Antrag, Kinder aus Moria zu holen, hätte kein einziges Kind gerettet, aber der ÖVP freie Fahrt in den koalitionsfreien Raum in Richtung Mehrheiten mit der FPÖ gegeben.
Aber die Hacklerregelung? Die Mindest-ECTS im Studium, die dafür sorgen werden, dass der finanzielle Hintergrund der Familien noch stärkerer Faktor für ein erfolgreiches Studium sein wird? Oder im Herbst, bei der gefühlt dreihundertsten Pressekonferenz Kanzler Kurz immer noch diesen rassistischen und xenophoben Schwachsinn vom Virus vom Balkan sagen lassen und nicht umgehend, in der gleichen PK, reagieren?
Rund um mich begann es bereits im April, dass Menschen, die wie ich seit Jahren ganz klar grünenaffin waren, mir erklärten, niiiie wieder die Grünen zu wählen – sie fühlten sich verraten. So lange hielt ich euch die Stange, verteidigte ich euch, holte mir dafür die verbalen Watschen ab, aber irgendwann gingen auch mir die Argumente aus.
Ihr habt wirklich tolle Leute in der Kommunikation sitzen, aber ich verstehe es einfach nicht – so vieles wirkt unkoordiniert. Wenn ich weiß, ich habe meine Kommunikation nicht im Griff – leg ich mich dann wirklich mit den Message Controllern des Landes ins Bett? Wie kann es passieren, dass Kurz die Massentests in der Pressestunde ankündigt, und es dann ein Artikel in die Zeitung schafft, dass man im Gesundheitsministerium nicht informiert war?
Ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass es sehr schwierig ist mit der ÖVP. SEHR schwierig. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Umstellung in Richtung Regierungsverantwortung eine echte Herausforderung ist. Noch dazu für eine Partei, die vor zwei Jahren noch vor den Trümmern ihrer Existenz stand. Ja, Corona ist schwierig, wie eine Freundin letztens so schön sagte: "Die ganze Welt wird einen Marshallplan brauchen." Ja, es ist absurd, es ist sauschwer, in dieser Situation zu regieren. Ich sehe das. Ich sehe, dass ihr euch bemüht, in Sachen Lesbos, in Sachen Geflüchtete, ich sehe es. Nur: Es reicht nicht.
Liebe Grüne: Wo ist euer Mut geblieben?
Ich warte seit Wochen, nein Monaten darauf, dass sich endlich eine/r eurer MinisterInnen hinstellt und öffentlich sagt: „Der Bundeskanzler hat kein Weisungsrecht an die Ministerien, und wenn er meint, uns seine Pläne und Vorhaben öffentlich ausrichten zu können, dann ist das schön für ihn, ändert aber nichts daran, dass wir über die Schlussentscheidung bei den Themen Klimaschutz, Gesundheit, Soziales, Sport, Kultur und Justiz verfügen. Wir verhandeln aber natürlich gerne mit ihm, nur reinfunken spiel ma nimmer mit.“ Klare Kante zeigen. Eine klare öffentliche Linie fahren, nicht dieses Hin und Her wie nach der Wienwahl (die Kommunikation rund um Hebein wurde ja auch per Elfmeter versenkt). Offenheit, Transparenz, und auf Kurs bleiben. Das geht mir so wahnsinnig ab. Es tut weh, Werner Kogler, DEN Werner Kogler, der im Parlament alle Abgeordneten mürbe reden konnte in seiner Sturheit, bei Auftritten zuzuschauen, in denen er wirkt wie der Schoßhund von Kurz. Ich sag nur Babyelefanten-PK. Ein trotziges Kind im Elefantenkostüm, das sichtlich nicht da sein wollte, und trotzdem schämte ich mich mehr für Kogler. Muss man mal schaffen. Das hat geschmerzt. Und selbst wenn sichtbar war, dass er einer Inszenierung der ÖVP folgen musste: Musste er? Wirklich? Und warum? Könnt ihr das erklären?
Der SPÖ konnte man in den vergangenen Monaten und Jahren leider bei der Selbstzerstörung zuschauen, und wenn ich die Aussagen von Rendi-Wagner mit denen von Doskozil vergleiche, sind sie in Sachen Neuaufbau wohl noch nicht wirklich weit fortgeschritten – was jetzt auch nincht leiwand ist beim Zuschauen. Aber was noch mehr sticht: Dass ihr sie unterbietet.
Ich bin im Grunde das komplette Klischee-Abziehbild eurer Stammwählerin: Ich lebe urban, ja sogar in einem "Bobo-Bezirk", im Altbau, ich lese Falter, höre FM4 und Podcasts, fahre Fahrrad, engagiere mich im Sozialbereich immer wieder mal ehrenamtlich und trenne meinen Müll. Ich bin eine, die für strenge Standards und Gesetze ist, die für alle gelten müssen. Ich bin die, die lange Gegenreden hielt, wenn es hieß, die Grünen seien eine „Verbotspartei“. Ich weiß, ich gehöre damit zu einer sehr kleinen Gruppe innerhalb aller ÖsterreicherInnen. Aber dennoch: Ich bin die, die wirklich immer auf eurer Seite stehen sollte. Und ich habe den Eindruck, vor lauter Stress, dass ihr jetzt in ganz Österreich beliebt sein müsst, bei allen, weil ja Regierung, habt ihr auf Menschen wie mich vergessen. Ich war mal das, was ihr als sichere Basis bezeichnen konntet, und ich war es gern. Aber: Ihr habt mich innerhalb von zehn Monaten von einer Kandidatin für die Grünen zu einer Person gemacht, die politisch kein Zuhause mehr hat.
Ich behaupte nicht, dass ich es besser könnte. Ich weiß, dass ich viel zu wenig Einblick in eure Arbeit habe, um auch nur im Ansatz erklären zu können, wie es besser ginge. Ich sage nur: Ich wünsche es mir von euch, dass ihr es besser macht. Weil für "unsere" Themen, Klima und Soziales, keine Zeit mehr ist, um nochmal aus dem Parlament zu fliegen und sich wieder reinzukämpfen. Ich wünsch mir mehr Mut von euch, für die Themen einzustehen, die euch immer so wichtig waren. Mut, der in der Opposition immer spürbar war, aber sich im Moment hinter Message Control und Babyelefanten versteckt. Ich möchte so gerne wieder grün wählen können und das auch wieder stolz vor mir hertragen können. Ihr seid meine einzige Alternative, und ich bin wiederum nicht die Einzige, die das so sieht, da bin ich mir sicher.
Frohe Weihnachten.