Erklärt es mir bitte jemand?

Ich muss heute mal innenpolitikfrei ventilieren. Weil es etwas gibt, das mich wahnsinnig macht: So viele Leute reden ständig davon, dass es eine Änderung im System braucht. Dass nicht globalisierte Produktion inklusive Menschenausbeutung und Umweltzerstörung "normal" sein sollten, sondern Produktion, in der alle fair und rücksichtsvoll behandelt werden. So viele sagen, ja, uh Problem. Ganz furchtbar. Schrecklich. Ein Wahnsinn. Oarg!

Ich verstehe, dass viele noch die Preisfrage im Kopf haben, weil unsere gesamte Lebenswelt nur noch aus Geldverdienen, um Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, besteht. Ich verstehe aber nicht, dass inzwischen beispielsweise nur noch ein Bruchteil des monatlichen Geldes in Lebensmittel geht, während es noch in den Siebzigern fast die Hälfte des monatlichen Einkommens war, wir aber 60 bis 80 neue Kleidungsstücke PRO JAHR kaufen.

So, aber die eigentliche Frage, die ich mir stelle: Immer wieder kommen Leute daher, die sagen, sie machen es anders, sie schaffen ein Angebot, das es den Menschen wirklich einfach macht, gut zu konsumieren. Ich arbeite fast ausschließlich mit solchen Unternehmen zusammen. Und ich frage mich wirklich: Warum sind dann solche Unternehmen nicht binnen eines Wimpernschlags Branchenführer? Es kann doch nicht immer nur um den Preis gehen!

Beispiele?

Ich kenne einen Textilhersteller aus dem Waldviertel. Produktion vor Ort, vieles biozertifiziert, individuelle Produktion möglich, Handtücher, Bademäntel, alles, was aus Stoff ist und ins Badezimmer gehört. Auf der Website kann man genauso bequem bestellen wie in jedem anderen Onlineshop. Absolut Bezahlbar. Gut, Konkurrenz mit den 2Euro-Handtüchern ausm Schrottladen nicht haltbar, aber will man das? Warum ist dieser Hersteller nicht Marktführer in Österreich - rein aufgrund der KundInnennachfrage? 

Oder:

In den Köpfen ist inzwischen wirklich angekommen, dass regional-saisonal-bio die mit Abstand beste Möglichkeit ist, Lebensmittel zu konsumieren. Sogar die Supermärkte reagieren drauf. Und ja, natürlich ist es am einfachsten, schnell mal in den Supermarkt am Eck zu hupfen und einzukaufen. Mach ich auch oft so. Aber mein Gemüse kommt im Kistl. Das macht sogar noch weniger Arbeit, weils mir vor die Tür gestellt wird. Und ich frage mich wirklich: Warum ist es nicht absolut selbstverständlich, sich Wege zu suchen, auch andere Lebensmittel online direkt vom Bauern zu kaufen? Warum ist uns nicht lieber zu wissen, aha, diese Eier kommen von Hendln auf einer Weide, ich kenn die Foto, ich weiß ca. wo der Hof ist, anstatt vom schnellen Bodenhaltungszehnerpack im Billa? Ich führe das Zeug schließlich meinem Körper zu! Es gibt Anbieter, die genauso denken wie ich und mir das Bestellen dieser Eier so einfach machen, also ob ich auf Amazon schnell irgendeinen Adapter bestell, der im Laden nicht lieferbar ist. Ist es wirklich nur der Preis? Verkaufen wir unsere Überzeugungen mirnixdirnix, weil halt der Bodenhaltungszehnerpack billiger ist? Warum ist es nicht selbstverständlich, dass wir neben dem unausweichlichen Supermarktsystem parallel noch Möglichkeiten nutzen? 

Oder: 

Seit zehn Jahren wurden die Auswirkungen der globalisierten Fast Fashion Produktion immer bekannter, auch außerhalb der Ökobewusstseins-Blase. Wir haben hier in Wien, aber auch in ganz Österreiche eine wirklich große Auswahl an engagierten DesignerInnen und ProduzentInnen, denen Qualität, Ökologie und Fairness in der Herstellung von Kleidung wichtig sind. Da wird so produziert, dass ein paar Jeans zum Beispiel viele Jahre lang hält und nicht nach einem Jahr so ausgeleiert ist, dass mans weghauen kann. Rechnet man hoch, dass man ein Paar Jeans statt einem Jahr dann vier Jahre trägt, ist nichtmal mehr der Preis der fair produzierten Hose ein Argument. Wir müssten dazu nur unseren inneren Trendkreislauf verlangsamen. Weil ganz ehrlich: Ob meine Hose jetzt plötzlich ein bissl anders geschnitten ist, das fällt nur mir auf. Für alle anderen hab ich einfach eine Hose an. Es gibt Versuche, österreichische Mode in einem Onlineshop zu vereinen. Es hat inzwischen fast jede/r DesignerIn einen eigenen Onlineauftritt. Es unterscheidet sich nicht von Zalando und Co. Warum meinen wir also, wir brauchen unbedingt drei neue Kleider statt einem?

Ich weiß, ich hab mich selbst lang genug damit beschäftigt, um genau das herauszufinden und ich kenne auch die Antworten. Es ist der Wunsch nach Zugehörigkeit, es ist der Wunsch nach Glücksgefühlen beim Shoppen, es ist der Wunsch nach Identifikation, es ist der Wunsch, Ressourcenreichtum herzuzeigen, und es ist der Preis. Ja. Aber in sooo vielen Schritten gehen so viele engagierte UnternehmerInnen auf diese Tatsachen ein, um Konsumwünsche zu erfüllen und gleichzeitig fair und ökologisch zu agieren. Es wird uns so bequem wie möglich gemacht. Da ist doch auch ein Schritt von uns KundInnen fällig.

Ich sag immer, wir müssen laut sein, neue Systeme einfordern und mehr sein als nur KonsumentInnen. Aber wir müssen uns auch an der Nase nehmen und diese Systeme, die wir einfordern, dann auch nutzen. Weil irgendwer wird immer billiger oder schneller sein.

Wir merken gar nicht, dass wir im Billiger-Schneller-Mehr Spiel gefangen sind und dass es einen bewussten Schritt da raus braucht.

Sprecht es laut aus:

DER PREIS IST NICHT ALLES.

WIR MÜSSEN LEBEN, WAS WIR FORDERN. 

 

 

PS: Ich nenne die Unternehmen bewusst nicht, weil ich diesen Beitrag auf keinen Fall als Werbung missverstanden will. Ich will Debatte führen und lernen, weil irgendwie muss es ja möglich sein, dass diese Projekte selbstverständlich werden. Ich freu mich über jede Idee.