Ich muss jetzt bissl ausholen. Ich bin ja in Wien aufgewachsen, relativ nahe von Schottentor und Innenstadt. Meine Welt als Kind war beim Gürtel quasi zu Ende, der Gürtel war das, wo die Autos von der Scheibe fielen - außer wir fuhren zur Tante und Onkel, die bei der Boku wohnten. Aus mir hätt so ein Perlenohrring-Collegeslipper-Ding auch werden können (und ich gebe zu, ich hatte mit 14 da so eine kurze Phase...). Ich war immer gern mit FreundInnen in der Stadt unterwegs, erkundete mit Papa die versteckten Gassln in der Innenstadt oder fuhr mit Mama ins Textilviertel, um Hemden für Papa zu kaufen, zur Tante Ita ins Wäschegeschäft und danach zum Trschn-hatschi-niewski auf belegte Brote und ein Stifterl für die Mama. Klingt jetzt aber alles viel VIEL posher, als es war, und die "gwisse bessere Wiener Gesellschaft".... die sah ich meistens mit einer ordentlichen Portion Argwohn. Aber: Es war einfach der Grundgedanke der Investition in gute Qualität, mit dem ich aufwuchs, und dem Wissen: Wer billig kauft, kauft teuer. Sinnvoll konsumieren, meine Mama konnte und kann das.
Aber irgendwann wurde mir die Innenstadt endgültig zu nobelhobel, ich konnte nix mehr damit anfangen, trieb mich lieber in den diversen Uni-Gegenden herum - das ist bis heute so geblieben. Die Innenstadt ist mir fremd geworden. Doch was ich immer wieder gern mag: In der Nacht durch die Stadt gehen. Graben, Kohlmarkt, Michaelerplatz, Hofburg. Vor den Auslagen stehen und mir denken: "Oida, bitte wer zahlt einen Tausender für eine Moncler-Jacke, made in irgendwo auf billig?" oder den Mund nicht mehr zukriegen aufgrund der Tatsache, dass selbst in der Nachtauslage bei Rolex die Uhren teilweise mehr kosten, als ich in einem Jahr netto jemals verdient habe. Die Gassln zwischen Kärntnerstraße und Kohlmarkt erkunden und immer wieder neue versteckte Läden entdecken, in die Bonbonniere-Bar will ich unbedingt noch mal gehen, seit ich sie mal beim Spaziergang entdeckt hab....
Ich kann mich noch erinnern, wie Mama aufjaulte, das aus dem altehrwürdigen Kaufhaus Braun am Graben ein H&M wurde, bis heute betont sie es jedes Mal, wie furchtbar das sei. Und als ich kürzlich - es muss kurz vor Mitte April, als die Läden wieder öffneten - mal wieder durch die leere Innenstadt schlenderte, fiel mir eines auf: Als gutbetuchte BesucherIn in Wien konnte man vor einigen Jahrzehnten noch ein Kleid vom Adlmüller oder Spielzeug vom Kober mitbringen. Dinge, die es nur hier in Wien gab. Heute kann ich mir die Louis Vuitton Schuhe - made in Romania - in der Wiener Filiale kaufen, aber auch in allen anderen LV-Filialen der Welt. Es ist nichts Besonderes mehr, egal, obs jetzt Gucci, Chanel oder doch was Leistbareres wie eben H&M ist. Die Ware gibts überall auf der Welt.
Ich möcht jetzt nicht auf ein Luxusgemaule raus (selbst wenn ich mir in diesem Leben jemals eine LV Tasche oder ein Gucci Kleid leisten könnt, ich würds nicht tun, es ist es mir schlicht nicht wert), sondern auf die Wiener Traditionsbetriebe. Die Unternehmen, für die die Innenstadt früher bekannt war: Lobmeyr. Köchert. Venturini. Wilhelm Jungmann und Neffe. Tostmann. Es gibt sie noch, und die sind keine verstaubten, aus der Zeit gefallenen Geschäfte für verschrobene Menschen mit zuviel Geld, nein: Dort bekommt man im Grunde echte Nachhaltigkeit. Mein Tostmanndirndl ist ein paar Jahre älter als ich, in der Tostmannwerkstatt in Wien hängen jahrzehntealte Schnitte, die immer noch verwendet werden, viel nachhaltiger geht nicht. Die Produkte, die sie produzieren - beispielsweise auch die Besteck-Services von Jarosinski & Vaugoin, die werden vererbt. Die werden genutzt, jahrzehntelang, über Generationen, egal, ob Dirndl, Besteck, Gläser oder Schmuck. Und wenn man das dann durchrechnet, dann ist das um Längen billiger als alle paar Jahre neues Zeug aus Massenproduktion zu kaufen. Gut, ok, Schmuck vom Köchert muss man sich mal leisten können, das seh ich ein :) aber trotzdem schöner als der Cartier Trinity Ring - auch aus Massenherstellung. Aber ja, ich bin mir drüber im Klaren: Wir reden hier von Produkten, die sich nur sehr wenige Menschen leisten können. Beim österreichischen Durchschnittseinkommen von 1600 Euro Netto (Durchschnitt! Da sind die Höchsteinkommen schon mit einberechnet!) kann man lang davon reden, wie qualitativ hochwertig Maßhemden oder geschliffene Gläser sind. Doch im Endeffekt ist es eine Frage der Positionierung der Unternehmen - wir haben "puh, Luxus" im Kopf, wenn wir daran denken. Gleichzeitig kenn ich Menschen, die sich ohne mit der Wimper zu zucken regelmäßig Taschen von Furla, Liebeskind oder anderen international agierenden Marken um sechs- bis achthundert Euro kaufen. Es gibt sie also, die Leute, die es sich leisten können, den Sinn für die Wertigkeit echten Handwerks aber verloren haben.
Apropos Massenproduktion: Wer eigenes Personal ausbildet, bis zu hundert Menschen anstellt, damit sie das entsprechende Handwerk ausüben und erhalten können, Handwerk weitergibt, damit es nicht verloren geht, sich seit tw. bis zu 300 Jahren durch die Geschichte mäandert und nicht eingeht, wer auf langlebige Qualität achtet, und wer dann sagt: "Wir waren nachhaltig, bevor sie das Wort überhaupt erfunden haben", dem muss ich wirklich recht geben.
Natürlich wirken einige dieser Läden aus der Zeit gefallen. Natürlich kann man sich jetzt denken, hats die Nunu jetzt mit ihrem Luxusgeschwafel, wer soll sich das leisten? Wer lässt sich heute noch eigene Bettwäsche mit einem Monogramm besticken? Wer kauft sich Venturini-Maßhemden, wenn es die Stretch-Slimfit vom H&M auch tun, und ein Sechstel kosten? Mir gehts da jetzt gar nicht darum zu erklären, wie wichtig es ist, dass der Herr von und zu Anwalt mit den Diamanten-Manschettenknöpfen herumrennen muss und man ihm das bitte erhalten soll. Nein, gegen Luxusgeprahle hab ich auch was. ABER: Ich möchte ein Lanze dafür brechen, dass es bei diesen Betrieben um echtes Handwerk geht. Um Wertschöpfung in Wien. Und dass Qualität und heimische Produktion ein echtes Gütezeichen sein können. Sie sind Arbeitgeber und erhalten altes Wissen.
Heute war ein Event, wo sie alle auftraten. Wo klar wurde, wie wichtig und schön es ist, dass es diese hartnäckigen Familienbetriebe noch gibt. Die keinen chinesischen Investor im Rücken haben, der den Markennamen nutzt, aber die Produktion nach Fernost verlagert, weil billiger. Deren Kohle in die Produktion und ins Personal geht, wo dann nicht mehr viel für Marketing übrig bleibt (im Unterschied zu globalen Konzernen, wo die Kommunikationsbudgets mit den Produktionsbudgets oft mithalten können oder sie sogar übertreffen). Und mir ist es ein Anliegen, dass man diese Unternehmen beim Gedanken an nachhaltigen Konsum mitdenkt. Sollten hier Leute mitlesen, für die Geld kein großes Thema ist: Heimische Traditionsunternehmen sind definitiv unterstützenswert.